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Rechtliche Herausforderungen bei der Einführung von Verhaltenscodizes

Bei der Entwicklung und Einführung von Verhaltenscodizes (Codes of Conducts) sind rechtliche Anforderungen zu beachten.
 

1. Einleitung

Beim Vorrücken in Märkte der Entwicklungs- und Schwellenländer gewinnen Überlegungen zur unternehmerischen Verantwortung immer mehr an Relevanz. In vielen Gastländern sind Unternehmen häufig mit unbekannten Realitäten konfrontiert: fremde kulturelle Normen, Rechtsunsicherheit, volatile politische Zustände, unberechenbare Verwaltungsorgane oder aber verantwortungsloser Umgang mit der Umwelt, Korruption sowie die Verletzung von international anerkannten Arbeitsnormen und Menschenrechten.

Das Unternehmen muss sich mit diesen Rahmenbedingungen aktiv auseinandersetzen, denn es wird von ihm erwartet, dass es in seinem Einflussbereich (Lieferanten, Arbeitnehmer, Standorte usw.) sowie in den Beschaffungs-, Produktions- und Exportländern die im Heimatland üblichen hohen Ansprüche an verantwortungsbewusste Geschäftspraktiken geltend macht.

Ein etabliertes Instrument zur Vermeidung möglicher Beeinträchtigungen durch Anspruchsgruppen im Wirkungsbereich eines Unternehmens ist der so genannte Verhaltenskodex (Code of Conduct). Mit einem maßgeschneiderten Code of Conduct legt ein Unternehmen konkrete Handlungsrichtlinien zur Einhaltung seiner zentralen ethischen und moralischen Verpflichtungen fest. Dieses Instrument hat eine regulierende (Zulieferer) sowie kommunikative Komponente (Anspruchsgruppen) und kann durch eine praxisnahe Entwicklung und glaubwürdige Umsetzung einen großen Beitrag zur Glaubwürdigkeit des Unternehmens leisten.
 

2. Gründe für die Einführung von Verhaltenskodizes

Einerseits liegen die Gründe für die Einführung eines Code of Conduct in den vorgenannten Gefahren, die ihren Ursprung in der Internationalisierung von Unternehmen sowie in der zunehmenden Globalisierung haben. Andererseits resultieren die Gründe aus Abhängigkeiten wie z.B. zum US-amerikanischen Sarbanes Oxley Act. Dieser fordert von börsennotierten Unternehmen in den USA sicherzustellen, dass Fehlverhalten in den Bereichen des Rechnungs- und Bankwesens sowie der Wirtschaftskriminalität – diese umfasst ein breites Spektrum möglicher Straftaten – schnellstmöglich aufgedeckt und beseitigt werden. Deutsche Unternehmen werden von den Verpflichtungen des Sarbanes Oxley Acts dann erfasst, wenn deren Muttergesellschaft in den USA börsennotiert ist.

Die für die Einhaltung der Anforderungen des Sarbanes Oxley Acts erforderlichen Maßnahmen werden in Form von Verhaltenscodizes in den Unternehmen implementiert. Konkrete Verhaltensvorgaben sollen die Haftungsrisiken der Unternehmen reduzieren bzw. minimieren.

In Deutschland ist ein zunehmender Trend zu verzeichnen, dass sich auch Unternehmen zur Einführung von Verhaltenskodizes bzw. zur Einrichtung von Meldesystemen bei Regelverstößen verpflichten, die selbst nicht börsennotiert sind bzw. auch keine börsennotierte Muttergesellschaft haben. Für diese Form der Selbstverpflichtung gibt es sehr unterschiedliche Gründe – von der Planung eines Börsengangs bis hin zur Erkenntnis, dass ein Code of Conduct ein zeitgemäßes und von den Stakeholdern erwartetes Instrument der „Corporate Governance“ ist.
 

3. Ziele und Inhalte von Verhaltenskodizes

Die Ziele von Verhaltenskodizes sind überwiegend vergleichbar, während die Inhalte von Unternehmen zu Unternehmen stark abweichen können.

Das wesentliche Ziel – wenn häufig in sehr unterschiedlicher Ausprägung formuliert – ist die Minimierung von Haftungsrisiken durch die Vorgabe konkreter Verhaltensregeln. Diese beziehen sich in der Regel sowohl auf unterschiedliche Organisationseinheiten (z.B. Vertrieb, Personalwesen, etc.) als auch auf unterschiedliche Prozesse. Das Unternehmen „verlagert“ in gewisser Weise die sich aus Fehlverhalten ergebenden Risiken auf die jeweils handelnden Personen und nimmt damit eine Möglichkeit der Exkulpation in Anspruch. Dass diese nur relativer Natur ist, zeigt sich letztendlich in der Tatsache, dass in den Medien in der Regel das Unternehmen und nicht der einzelne Mitarbeiter an den Pranger gestellt wird – Ausnahme: Vorstands- oder Geschäftsführungsmitglieder.

Die Inhalte dagegen variieren in der Regel stark: manche Unternehmen beschränken sich darauf, kurz und knapp ihre Mitarbeiter zu verpflichten, sich an die geltenden Gesetze sowie internen Anweisungen zu halten und Verstöße zu melden. Bei den meisten Unternehmen ist jedoch zu beobachten, dass der Code of Conduct eine große Anzahl konkreter, situationsbezogener Verhaltensregeln beinhaltet, die in Summe weit über das hinausgehen, was der Sarbanes Oxley Act verlangt. Hierzu einige Beispiele:

  • Verschwiegenheitsverpflichtungen

  • Annahme von Geschenken

  • Verbot von Alkohol, Drogen und berauschenden Medikamenten

  • Nutzung von betrieblichen Einrichtungen (Telefon, Maschinen, Fahrzeuge)

  • Nicht-Akzeptanz von Kinderarbeit

  • Verstöße gegen den Umweltschutz

  • Beschäftigung von Familienmitgliedern bei Wettbewerbern

Die Aufstellung der Verhaltensregeln geht ferner einher mit Sanktionen, die bei Verstößen gegen die Verhaltensregeln festgelegt werden. Diese reichen von einfachen disziplinarischen Maßnahmen bis hin zur fristlosen Kündigung mit Strafanzeige.

Ein weiterer Bestandteil von Verhaltenscodizes sind sog. „Meldesysteme“ (englisch: Whistleblowing-Systeme), über die Verstöße gemeldet werden. Meist handelt es sich um Hotlines oder um spezielle E-Mail-Adressen – Anonymität und Diskretion sind dabei Grundvoraussetzungen, ohne die ein solches Meldesystem in der Praxis kaum funktionieren würde (wer möchte schon als „Denunziant“ dastehen, selbst wenn er aufgrund des Code of Conduct zur Meldung von Verstößen verpflichtet ist?).

Vergleicht man die Entwicklung von Verhaltenskodizes zwischen den USA und Deutschland, so erklärt sich die hohe Anzahl an konkreten Verhaltensregeln in den US-amerikanischen Codes of Conduct historisch aus einer deutlich geringen gesetzlichen Regelungsdichte im Arbeitsrecht als wir sie von Deutschland kennen. Allerdings ist auch in Deutschland bisweilen eine ausgeprägte „Regelungswut“ der Compliance-Verantwortlichen zu verzeichnen, obwohl viele der geregelten Tatbestände ihre rechtliche Würdigung sowohl im materiellen Arbeitsrecht als auch in der seit Jahrzehnten fortentwickelten arbeitsrechtlichen Rechtsprechung finden.
 

4. Herausforderungen bei der Einführung von Verhaltenscodizes

Losgelöst von den rechtlichen Themen im Zusammenhang mit der Einführung von Verhaltenscodizes in Unternehmen gibt es auch auf der Verständnisebene unterschiedliche Vorstellungen: für das Unternehmen stellt sich die Einführung eines Code of Conduct in der Regel als institutionelle Manifestierung einer Selbstverständlichkeit dar – schließlich sollte es für jeden selbstverständlich sein, Gesetze und Regel einzuhalten. Mitarbeiter und Mitbestimmungsgremien assoziieren mit der Einführung eines Codes of Conduct häufig Denunziantentum bzw. die Verleitung, Kollegen zu denunzieren.

       a. Individualarbeitsrechtliche Aspekte

Soweit durch den Code of Conduct die Arbeit des Mitarbeiters konkretisiert wird, ist dieser in der Regel durch das gesetzlich festgelegte Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO abgesichert: „Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen“.

Das Weisungsrecht umfasst jedoch nur bestehende Pflichten sowie Nebenpflichten und nicht deren Erweiterung. Insoweit sind Verpflichtungen mittels Code of Conduct zur Einhaltung bestehender Gesetze wie z.B. Wertpapierhandels- oder kartellrechtliche Bestimmungen unproblematisch. Das gilt auch für Verhaltensregeln im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit (z.B. Annahme von Geschenken) sowie außerhalb der betrieblichen Tätigkeit, sofern diese Einfluss auf die Arbeit des Mitarbeiters haben (z.B. Nebenbeschäftigungsverbot).

Darüber hinausgehende Verpflichtungen im Rahmen von Verhaltenskodizes dagegen müssen mit dem Arbeitnehmer in der Regel vereinbart werden. Hier besteht grundsätzlich ein großer Spielraum, der allerdings seine Grenzen in dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers findet.

Ein Instrument für die Einführung weitergehender Verhaltensregeln kann der Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat sein, wobei hier zu beachten ist, dass Individualansprüche von Arbeitnehmern – etwa aufgrund einer betrieblichen Übung (z.B. Duldung eines bestimmten Verhaltens) – nicht ohne weiteres mit der Einführung eines Code of Conduct „ausgehebelt“ werden können. Schließlich darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass Verhaltensregeln an der allgemeinen Inhaltskontrolle für Standardarbeitsbedingungen gemäß §§ 305 ff. BGB gemessen werden. Wird ein Arbeitnehmer z.B. durch einzelne Bestimmungen unangemessen benachteiligt, so kann dies zur Unwirksamkeit dieser Bestimmungen führen.

       b. Mitbestimmungsrechtliche Aspekte

So mancher Betriebsrat vertritt den Standpunkt, dass die Einführung von Verhaltenskodizes mitbestimmungspflichtig sei. Dies ist umstritten, insbesondere was die Betrachtung eines Gesamtregelwerkes betrifft.

In vielen Fällen ist es strittig, ob ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen der betrieblichen Ordnung und des Verhaltens im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit von Mitarbeitern besteht. Nach herrschender Auffassung unterliegt das sog. Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer der Mitbestimmung, nicht jedoch Regeln, die das Arbeitsverhalten betreffen. Die Differenzierung ist häufig schwierig und damit der Umfang der Mitbestimmung nicht eindeutig. Dies betrifft zum Beispiel Vorgaben zum Umgang mit Medienanfragen, da unklar ist, ob diese der Konkretisierung des Arbeitsverhaltens dienen oder ein mitbestimmungspflichtiges Ordnungsverhalten betreffen.

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Beschluss vom 22.07.2008 (Az.: 1 ABR 40/07) hierzu folgenden Leitsatz formuliert: „Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber in einem Verhaltenskodex das Verhalten der Arbeitnehmer und die betriebliche Ordnung regeln will. Das Mitbestimmungsrecht an einzelnen Regelungen begründet nicht notwendig ein Mitbestimmungsrecht am Gesamtwerk“.

c. Kündigungsschutzrechtliche Aspekte

Ein jedes Regelwerk entfaltet die gewünschte Wirkung nur dann, wenn damit auch Sanktionierungsmechanismen verbunden sind. Sonst ist es ein „zahnloser Tiger“. Aber auch hier sind rechtliche Besonderheiten zu beachten.

Auch wenn der Code of Conduct konkrete Sanktionen beinhaltet, so greifen diese nur unter dem Vorbehalt der Vorgaben nach dem Kündigungsschutzgesetz. Zwar können Verstöße gegen Verpflichtungen des Code of Conduct in besonders schweren Fällen Gegenstand einer außerordentlichen Kündigung sein, doch in der Praxis taugen sie meist nur für eine Abmahnung bzw. fristgemäße Kündigung – soweit die Rechtsprechung.

       d. Datenschutzrechtliche Aspekte

Auch der Datenschutz will bei der Einführung von Verhaltenskodizes gehört werden. Zunächst bedarf es der schriftlichen Einwilligung des Arbeitnehmers in die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung seiner persönlichen Daten einschließlich deren Übermittlung, wenn diese bei einem anderen als dem anstellenden Unternehmen verarbeitet werden. Das gilt auch für sog. Konzerngesellschaften. Wird die Einwilligung im Zusammenhang mit einer anderen Erklärung abgegeben, z.B. mit der Kenntnisnahme des Code of Conduct, sind insbesondere die Bestimmungen des § 4a Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 BDSG zu berücksichtigen: „Die Einwilligung bedarf der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Soll die Einwilligung zusammen mit anderen Erklärungen schriftlich erteilt werden, ist sie besonders hervorzuheben“.

Die Übermittlung von persönlichen Daten aus dem anstellenden Unternehmen heraus ist insbesondere dann kritisch, wenn sie in einen unsicheren Drittstaat erfolgt, der nicht an die europäischen Datenschutzstandards gebunden ist. Das könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn sich die für das „Whistleblowing“ zur Verfügung gestellte Hotline in einem solchen Drittstaat befindet.


Über den Autor
Eckart Achauer, Jurist, Dipl.-Betriebswirt, MBA, ist – nach langjähriger international ausgerichteter Tätigkeit in verschiedenen leitenden Funktionen bei einem Schweizer Versicherungskonzern – seit Mitte der Neunziger Jahre als Managementberater und Interimsmanager tätig.

Seine thematischen Schwerpunkte sind Organisations- und Prozessoptimierung, Risiko-, Qualitäts- und Projektmanagement sowie die Sanierung/ Restrukturierung von Unternehmen. Sein Branchenfokus liegt auf der Energiewirtschaft, dem Handel und dem Dienstleistungssektor. Zu seinen Kunden zählen Unternehmen des Mittelstands im In- und Ausland sowie Dax-30-Unternehmen in Deutschland.

Im Rahmen seiner Fortbildung hat sich Eckart Achauer zum European Quality Manager und EFQM-Assessor qualifiziert. 2008 folgte die Ausbildung zum Mediator mit Schwerpunkt Wirtschaftsmediation.

Er ist Geschäftsführer der AGAMON Consulting GmbH, Berlin.

 
 
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